Bin ich ein netter Mensch, weil ich Süßigkeiten liebe? Oder liebe ich Süßigkeiten, weil ich ein netter Mensch bin? Eine aktuelle Studie sucht nach einer Antwort.
„NETT FINDEN SIE DAS?! 😡“ Meine ehemalige Chefin flippte jedes Mal aus, wenn ihr jemand die Rückmeldung gab, etwas, was sie tat oder sagte, sei nett von ihr. Für sie war NETT die kleine Schwester von PUTZIG und DROLLIG und so entgegnete sie stets:
„Soll ich Ihnen sagen, was nett ist? Nett ist es, wenn Sie Ihrem schnuckligen Hamster, Kätzchen oder Hündchen verzückt beim Herumtollen beobachten.“
Ich fand damals, sie legte da die Begrifflichkeit zu sehr auf die Goldwaage. Aber ganz ehrlich: Willst du gern als nett wahrgenommen werden?
Leider finde ich mich manchmal auch ganz nett. Hin und wieder vielleicht zu nett. Ich müsste zu dem einen oder anderen auch mal sagen: „Alter, was willst DU denn von mir?“ oder: „Nee, geht jetzt nicht.“ oder: „Das geht nicht nur jetzt nicht, sondern das geht überhaupt nicht. Schluss, Ende, aus die Maus.“
Aber was sage ich dann tatsächlich? „Du, da denke ich gerne mal drüber nach.“ oder: „Ja, warum nicht?“ oder: „Lass es uns versuchen.“ Irgendwie komme ich halt nicht so leicht aus meiner Haut. Dieses „nett sein“ ist einfach in meiner Persönlichkeit verankert. Wobei, sooo schlecht bin ich damit in den letzten 50 Jahren auch nicht gefahren. Man sollte als „netter“ Mensch halt nur immer schauen, dass andere das nicht falsch verstehen und ausnutzen.
Die nette Naschkatze von nebenan
Als ob es nicht schon genug wäre, dass ich aufpassen muss, nicht in die Everbody’s-Darling-Falle zu treten. Jetzt soll laut einer aktuellen Studie meine Nettigkeit auch noch verantwortlich dafür sein, dass ich total auf Süßigkeiten stehe. Na super! Das sympathische Schleckermäulchen. Die nette Naschkatze von nebenan. Nett und fett. Großartiges Prädikat.
Nett schon mal gar nicht
Erstmal sollte ich eine Sache klarstellen: In der Persönlichkeitspsychologie und -diagnostik redet man nicht von „nett sein“. Wenn wir einen Menschen als „nett“ empfinden, dann sprechen Psychologen in der Regel von der sogenannten Verträglichkeit bzw. Agreeableness.
Basierend auf dem sogenannten Big-Five-Persönlichkeitsmodell ist diese Agreeableness eine von fünf Dimensionen unserer Persönlichkeit. Sie beschreibt, wie Menschen in ihrer Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Förderung sozialer Harmonie variieren. Eine hohe Verträglichkeit erleichtert es, bei anderen beliebt zu sein und soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten. Menschen mit hoher Verträglichkeit zeichnen sich durch Rücksichtnahme, Freundlichkeit, Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft und Kompromissbereitschaft aus. Sie neigen dazu, ein positives Menschenbild zu haben und vertrauen darauf, dass andere ehrlich und anständig sind. Allerdings kann eine ausgeprägte Verträglichkeit in Situationen, die entschlossenes Handeln oder schwierige Entscheidungen erfordern, auch herausfordernd sein.
Da mein neuestes Hobby die Persönlichkeitspsychologie ist, habe ich mich mittlerweile rauf und runter getestet. Das Ergebnis meines Persönlichkeitstests ist eindeutig. Ich ranke auf der Skala „Agreeableness“ sehr weit oben. Ich habe es also schwarz auf weiß: ich bin wohl ein netter Typ. 😩 Na gut, wollen wir mal psychologisch korrekt bleiben: ich bin ein verträglicher Typ.
“Nett ist es auch, seinem schnuckligen Hamster, Kätzchen oder Hündchen verzückt beim Herumtollen zu beobachten.”
Raum für Spekulation
Damit zurück zu mir in meiner Rolle als Naschkatze. Also ehrlich, wenn ich wollte wie ich könnte, dann stünde auf meinem Schreibtisch immer eine großzügig gefüllte Schale mit allem, was eine gut sortierte Süßigkeitenabteilung so hergibt. Da mir eine konstante Überzuckerung aber weder mental, noch körperlich, noch allgemein gesundheitlich gut tun würde, ersetze ich diese vermeintlich paradiesische Schale durch einen Apfel und eine Tasse Tee. Schließlich will ich nicht zurückkehren zu meinen alten Pummelprinz-Zeiten, über die ich in meinem persönlichen Midlife-Crisis-Blog schreibe.
Dass diese eingangs erwähnte Studie nun herausgefunden haben will, dass Verträglichkeit und der Hang zu süßen Naschereien miteinander korrelieren, lässt für mich Raum zur Spekulation. Ich bin ja kein Psychologe, aber wie ernst darf man eine solche Studie nehmen? Ist das tatsächlich eine Frage der Persönlichkeit? Spielt hier nicht viel mehr Verhalten und Gewohnheit eine Rolle? Sind die netten Leute vielleicht automatisch undisziplinierter als die weniger netten, weil die ja sowieso alles nicht so eng sehen und auch mal Fünfe gerade sein lassen? Vielleicht liegt es auch daran, dass sie einfach so schwer „NEIN!“ sagen können, sei es zu einem anderen Menschen oder zu einem Schokoriegel.
Bevor ich also das nächste Mal zu einer Süßigkeit greife, werde ich kurz innehalten und mich fragen, ob ich das jetzt mache, weil ich einfach total Bock auf Schoki habe, oder ob ich nur nett sein und dieser Köstlichkeit keinen Korb geben will.